„Das Thema Hörverlust ist sehr emotional“
Interview mit Dr. Marco Vietor, Geschäftsführender Gesellschafter der audibene GmbH
02.11.2021
Wirtschaftsforum: Herr Dr. Vietor, es gibt reichlich Hörakustiker auf dem Markt, die die Menschen mit Hörgeräten versorgen. Warum waren Sie der Meinung, dass es ein Angebot wie audibene braucht?
Dr. Marco Vietor: Der Hintergrund war folgender: Jeder dritte Mensch über 55 Jahre hat einen Hörverlust; das ist ein Volksproblem. Die Versorgungsquote liegt aber bei nur 15%, das heißt, nur jeder siebte Betroffene hat eine Lösung dafür. Unser Gedanke war, dass das Internet ideal geeignet ist, um Menschen den Zugang zu diesem Thema zu ermöglichen, das ihnen neu ist oder mit dem sie sich aus Scham nicht beschäftigen wollen. Auch immer mehr ältere Menschen gehen ins Internet. Von zwölf Millionen Deutschen mit Hörverlust haben drei Millionen ein Hörgerät. Bei neun Millionen besteht also Behandlungsbedarf. Das ist unsere Zielgruppe. Um sie zu versorgen, haben mein Partner Paul Crusius und ich 2012 audibene gegründet. Wir haben mit 70 Partnergeschäften angefangen, heute sind es 1.300 in Deutschland und weltweit mehr als 5.000. Wir sind in elf Ländern vertreten. Dort ist die Versorgungsquote genauso schlecht wie bei uns.
Wirtschaftsforum: Welche Rolle spielt audibene heute auf dem Markt?
Dr. Marco Vietor: Wir sorgen für eine Markterweiterung, indem wir Leute ansprechen, die ohne uns nicht handeln würden. Oft sind das jüngere Leute mit leichten Formen des Hörverlusts, die zum Beispiel in lauten Restaurants oder auf der Straße nicht gut hören. Sie kommen eher zu uns als dass sie zu einem Akustiker gehen würden. Deshalb sehen wir uns nicht im Wettbewerb mit den Hörakustikern, die die Überweisungen von den HNO-Ärzten bekommen. Wir machen digitales Marketing und beraten die Kunden zuhause bequem am Telefon. Damit sehen wir uns ein Stück weit als Innovatoren der Branche. Die Hörakustikbranche ist stark medizinisch geprägt. Es gibt 6.000 Fachgeschäfte mit 3.000 Inhabern, die kaum das Internet nutzen.
Wirtschaftsforum: Wie erreichen Sie die Menschen durch digitales Marketing?
Dr. Marco Vietor: Unter anderem über Google und Social Media; wir sind aber in allen Marketing-Kanälen unterwegs. Darüber hinaus kooperieren wir mit externen Partnern und nutzen Native Advertising sowie Paid Advertising in den Sozialen Medien. Bei Silver Agern sind wir digitaler Marketingführer.
Wirtschaftsforum: Wie gewinnen Sie dann denjenigen, der auf der Seite von audibene gelandet ist?
Dr. Marco Vietor: Unsere Webseite klärt ihn erst einmal über die Arten der Hörgeräte auf und demonstriert, wie klein und unsichtbar diese sind. Der Interessent hinterlässt seine Telefonnummer und füllt online einen Fragebogen aus. Einer unserer Kundenberater ruft ihn dann innerhalb weniger Minuten an. Bei einem Partner in der Nähe des Kunden wird anschließend ein Termin gemacht. Wir bestellen das Hörgerät zu diesem Akustiker, der es in unserem Auftrag anpasst. Der Kunde trägt das Gerät ein paar Tage, und wenn es passt, stellen wir die Rechnung und rechnen auch direkt mit der Kasse ab. Mit dem Kunden bleiben wir weiterhin in Kontakt, schicken ihm Pflegetipps und bieten Updates und eine Versicherung für den Schadensfall an.
Wirtschaftsforum: Wodurch überzeugt dieses System den Kunden besonders?
Dr. Marco Vietor: Es ist schneller und unkomplizierter. Wir bringen die Menschen dazu, sich dem Problem des Hörverlusts zu stellen und zu handeln. Unsere Partner sind Top-Akustiker, die wir auch rigide selektieren. Und unser Angebot ist für den Kunden anfangs kostenlos und unverbindlich.
Wirtschaftsforum: Was macht audibene als Unternehmen so erfolgreich?
Dr. Marco Vietor: Ein wesentlicher Punkt ist, dass wir selbst keine Akustiker sind, sondern mit frischem Blick auf die Branche geschaut haben. Unser Geschäftsmodell passt gut zum Problem. Denn dieses ist sehr emotional; es ist nicht leicht, sich den Hörverlust einzugestehen. Die Kombination aus Online und Telefon ist dafür sehr gut geeignet, denn dieser Weg kostet viel weniger Überwindung, als in einen Laden zu gehen. Das hat vor uns niemand erkannt. Wir waren außerdem schnell in der Skalierung. Unser Anspruch ist, Innovator der Branche zu sein und sie mitzuprägen. Damit haben wir es zu einem Jahresumsatz von 200 Millionen EUR und 500 Mitarbeitern allein in Deutschland gebracht.
Wirtschaftsforum: Was sehen Sie in der Zukunft von audibene?
Dr. Marco Vietor: Im letzten Jahr sind wir um 30% gewachsen und wir wollen auch in der Zukunft weiter stark wachsen. Wir haben verschiedene Initiativen in Gang gebracht, zum Beispiel zum Thema Kundenzufriedenheit. In der Beratung wollen wir mehr Technologie wie etwa Video-Telefonie einsetzen und vor Ort gemeinsam mit unseren Partnern das Erlebnis für den Kunden noch besser machen. Wir arbeiten in einem tollen Markt mit internationalen Komponenten. Das wollen wir nutzen. Unsere Vision ist, die Nummer 1 in Deutschland zu sein und international zu wachsen.
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